Erziehung - Teil 1

Aus der Werkstatt-Gazette No. 7

Katrin Moser und Verena Fink - 15. 10. 2012

Was ist Erziehung?

„Wer die schlichte Frage stellt: „Was ist Erziehung?“ scheint entweder ignorant oder arrogant zu sein, also entweder zu übersehen, was selbstverständlich ist, oder sich an etwas zu versuchen, was seit der Antike so viele Antworten gefunden hat […] „Erziehung“ scheint eine Sache von höchster Bedeutung und Wichtigkeit zu sein, die so geartet ist, dass sich jede Nachfrage verbietet. Was Erziehung ist, ist selbstverständlich und der weiteren Rede nicht wert, nämlich Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu deren Besten unter Inanspruchnahme von Selbstlosigkeit auf Seiten der Erwachsenen. Das lässt sich als Minimaldefinition verstehen, die für Beruhigung sorgt und zugleich die Bedeutungsannahme nicht beeinträchtigt.“ (http://aba-fachverband.org/fileadmin/user_upload/user_upload_2006/Oelkers_Was_ist_Erziehung_heute.pdf)

 

Definitionen

Das Wort erziehen kommt aus dem althochdeutschen irziohan, eigentlich herausziehen, in der Bedeutung dann aber beeinflusst von lat. educere = herausführen, erziehen. (Duden, Bd.7: Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Die Geschichte der deutschen Wörter bis zur Gegenwart. Mannheim Auflage:3., völlig neu bearb.u.erw. 2001)

 

Erziehung ganz allgemein gesehen „ist eine Auseinandersetzung zwischen dem autonomen System des Erwachsenen und dem autonomen System des Kindes. Dabei werden auf beiden Seiten gemäß dem ihr eigenen Ansatz (System) Interessen ins Spiel gebracht: auf Seiten des Erziehenden u.a. erzieherische – was auch immer darunter verstanden werden mag – auf Seiten des Edukanden als eines Menschen, der sein Selbst unter erzieherischen Einfluss zu entfalten und seine Autonomie zu bewahren hat.“ (Speck, Otto: Chaos und Autonomie in der Erziehung. München 1991, S. 112f)

Erziehung ist also die soziale Interaktion zwischen Menschen, „bei der ein Erwachsener planvoll und zielgerichtet versucht, bei einem Kind unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und der persönlichen Eigenart des Kindes erwünschtes Verhalten zu entfalten oder zu stärken.“ (Hurrelmann, Klaus: Mut zur demokratischen Erziehung. In: Pädagogik. 7 bis 8/94. S.13)

Somit ist Erziehung ein Bestandteil des umfassenden Sozialisationsprozesses mit dem Ziel Kinder zu selbständigen, leistungsfähigen und verantwortungsvollen Menschen zu bilden. Da sich die Gesellschaft verändert, verändert sich natürlich auch der Sozialisationsprozess.

 

Wie sollen wir heute erziehen?

Diese Frage führt bei vielen Eltern (und pädagogischem Fachpersonal) zu Verunsicherungen. Die Zeiten, in denen Eltern und Lehrer ausschließlich Autoritätspersonen und somit die „Fronten“ zwischen Erwachsenem und Kind klar waren, sind längst vorbei. Heute wird in einer fast unüberschaubaren Vielzahl von Büchern, Zeitschriften, Ratgebern, in Fernsehsendungen, Internetbeiträgen, Foren oder Kursangeboten über Erziehung diskutiert. Die eine Seite proklamiert bzw. fordert das „Ende der Erziehung“. Andererseits wird der so genannte „Erziehungsnotstand“ ausgerufen und ein Zuwenig an Erziehung beklagt.

 

In unserer Gesellschaft hat sich ein Wandel an Werten und somit auch an Erziehungszielen vollzogen. So bestand zum Beispiel früher eine breite Übereinstimmung in der Gesellschaft darüber, dass Tugenden wie Höflichkeit, Disziplin oder Fleiß wichtige Erziehungsziele sind. Heute werde diese Tugenden eher kritisch gesehen und andere, wie zum Beispiel Selbständigkeit, Kooperationsbereitschaft oder Durchsetzungsfähigkeit bevorzugt. Auch sind die vielfältigen Erwartungen in Bezug auf Erziehungsergebnisse widersprüchlich: Kinder sollen einerseits rücksichtsvoll und sozial kompetent, andererseits aber auch ehrgeizig und durchsetzungsfähig sein.

So stehen wir einerseits diesen unterschiedlichen Anforderungen und Positionen, andererseits einer Fülle an vorgeschlagenen Erziehungsmaßnahmen und -anweisungen gegenüber, die eher zur Verunsicherung beitragen und selten als Patentlösungen übernommen werden können.

 

 

Mut zur Erziehung

Eines ist jedoch sicher: Erwachsene müssen ihre Verantwortung für Kinder und Jugendliche ernst nehmen. „“Mut zur Erziehung“ verlangt zuerst und vor allem Mut, an sich selbst und die eigene Lebensführung höhere Anforderungen zu stellen; […] In einer differenzierten, wertpluralistischen Gesellschaft kann das nicht für alle Menschen das gleiche sein. […] Nur wenn diese Ideale im alltäglichen Zusammenleben am Reden und Handeln der Erwachsenen erfahrbar sind, können sie von Kindern und Jugendlichen als öffentliche Forderung an das eigene Verhalten erlebt werden. Das bedeutet dass indirekte Erziehung wichtiger ist als direkte. Indirekt erziehen heißt: die Lebensumstände der Kinder, Schüler, Lehrlinge usw. – zu denen auch ihre Erzieher gehören – so zu gestalten, dass sie jene Erfahrungen ermöglichen, aus denen die guten Eigenschaften entstehen, die zu einem lebenstüchtigen Menschen gehören. „Mut zur Erziehung“ muss also in erster Linie als „Mut zu einer guten gemeinsamen Lebensordnung“ verstanden werden.“ (Brezinka, Wolfgang: Nicht „Ende der Erziehung“, sondern „Mut zu guter Erziehung“! In: GMH 11/93. S.715)

 

Diese Ordnung gemeinsam zu schaffen ist Aufgabe von Eltern, Lehrern, Erziehern und allen Erwachsenen die mit Kindern in Beziehung treten. „Erziehung muss verstanden werden als ein kommunikatives Handeln, dessen Ziel darin liegt, eine Kommunikationsstruktur zu etablieren, die den Erwerb von Fähigkeiten zum Diskurs ermöglicht". (Klaus Mollenhauer)

 

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Erziehung muss miteinander und von allen Seiten geführt werden, da wir nicht von einem heraufbeschworenem „Ende der Erziehung“ sprechen wollen. Im Gegenteil. „Je komplizierter, schwieriger und anforderungsreicher die modernen Lebensverhältnisse werden, desto größer wird der Bedarf an guter Erziehung.“– und somit der Bedarf an Mut zur Erziehung.